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Es ist derzeit einiges im Wandel, wenn es ums Kaufen und Verkaufen geht, um Dienstleistungen und um Service. Irgendwie scheinen es alle Läden, die man auf den größeren Straßen links und rechts so sieht, schwer zu haben, und man fragt sich, wie lange sie wohl noch existieren oder im Internet verschwinden. Jeder zweite sogenannte Shop bietet ohnehin nur noch Handy-Verträge an, der Rest wechselt gefühlt alle drei Monate seinen Mieter. Gehalten hat sich hier und da ein Fleischer, da und dort ein Optiker, und Buchläden sind auch häufiger, als man in der Zeitung, die es eigentlich auch nicht mehr gibt, liest.

Eine richtige Konstante, und vielleicht die stabilste überhaupt, ist der Friseur. Läden, in denen man sich die Haare schneiden lassen kann, sind nicht totzukriegen. Wie auch, mag man sofort einwenden. Haare wachsen immer und müssen geschnitten werden, egal welche Länge grad in Mode ist. Und außerdem, wirft der Internetskeptiker noch ein, gehe das ja nun wirklich nicht online: „Zum Glück“.

Doch das Loblied, das man nun auf deutsches Handwerk und Tradition anstimmen könnte, würde vielleicht nur leidlich ablenken vom mediokren Stellenwert, den Friseurgeschäfte heute haben. Sie sind keine Markierer der Identität eines Viertels, sie gehören eher zum Straßenbild wie Stühle oder Tische zu einer Wohnung; unauffällig und selbstverständlich, schmucklos und notwendig, deshalb aber auch keiner weiteren Rede wert.

Vermutlich wissen das auch die Friseure und versuchen deshalb verzweifelt, auf sich aufmerksam zu machen. Irgendwie muss man das Phänomen ja deuten, dass sich vor allem Friseurgeschäfte die bescheuertsten Namen geben: Wellkamm, Haarmonie, Chaarisma, Hairforce One, Haar la Carte, GmbHaar, Love is in the Hair oder eben Kopfsache – schlimmer geht immer.

Dieses name game begann jedoch schon eher, und zwar bei der Bezeichnung des Berufes. Der Duden kanzelt die Rede von der Friseuse heute als „veraltet“ ab und empfiehlt stattdessen den Begriff Friseurin. Zur Umbenennung des französischen Kino-Hits „Der Mann der Friseuse“ ist es bis jetzt zwar nicht gekommen, aber dass eine neuere deutsche Komödie den Titel „Die Friseuse“ trug, sagt zur Diskreditierung des Begriffes eigentlich alles. Auch, dass es zunehmend Frauen waren, die Haare schnitten, trug zur Diskreditierung des Geschäfts bei; wer etwas auf sich hält, hat bis heute ohnehin einen „Coiffeur“.

Die Modernisierung des Friseurfeldes verbleibt jedoch nicht im Diskursiven. Sie zeigt sich vor allem daran, dass sich mittlerweile alle möglichen Sparten und Spezialisierungen finden. Es gibt Friseurläden für Frauen, für Männer, für Kinder, für Familien, für Haarverlängerungen und für Zweithaar, für lange Haare, für besonders feine Haare, für Locken, fürs Färben, fürs Hochsteckfrisuren, für Brautfrisuren, für Dauerwellen und für Haarglättung – und da war von Friseuren für Hunde noch gar keine Rede.

Dass Friseursalons, auch wenn sie sich Haar-Atelier nennen, trotz all dieser Bemühungen eher ein Dasein in der zweiten Reihe des großstädtischen Glamours führen, hängt vielleicht weniger mit ihrem Äußeren, als mit ihrem Innenleben zusammen. Kurz gesagt: Man wird beim Friseur oft das Gefühl nicht los, dass es doch eher um den Laden als um seine Besucher geht. Zwar geben im Grunde alle vor, den Kunden und seine Wünsche in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen zu stellen. Aber dann runzeln sie doch kaum merklich die Stirn, wenn man spezifische Wünsche äußert, oder sagen nichts und schneiden einfach nach ihren Ideen die Haare ab – beziehungsweise eben nicht. Wie hieß es noch auf dem Konzept-Album Le Frisur der „Ärzte“: „Mein Baby war beim Frisör, und jetzt mag ich sie nicht mehr. Mein Baby war beim Haareschneiden, jetzt kann ich sie nicht mehr leiden. Vorher war sie wunderschön, jetzt kann ich sie nicht mehr sehen“.

Seit einiger Zeit bin ich Kunde in einem Laden namens „Men Only“. Keine Ahnung, ob Frauen dort wirklich nicht bedient werden, jedenfalls habe ich bislang wirklich nur Männer dort erlebt, sieht man mal von der einen Friseurin ab, die neben zwei Männern zum Personal zählt. Die Bevormundung, wie ich es einmal nennen will, zeigt sich bei „Men Only“ weniger in der Art des Haareschneidens, als vielmehr in der Gestaltung des Ladens. Die gesamte Innenausstattung ist auf Mann getrimmt, und zwar auf einen sehr spezifischen Mann. Einen Mann, der sich für pseudo-amerikanischen Kram wie Barbourshop-Reklameschilder und Autos interessiert (die ganze Zeit läuft DMAX) und dem es gefällt, beim Waschen der Haare in zurückgelehnter Stuhlstellung einen an der Decke montierten Bildschirm zu entdecken, auf dem die üblichen Fotos nur spärlich bekleideter und gern noch tätowierter junger Frauen ablaufen. Unnötig zu erwähnen, dass sich im Zeitschriftensortiment der Playboy findet.

Es wäre nun aber relativ sinnfrei, dem Laden sein Konzept oder seine Ausstattung vorzuwerfen, von dem man profitiert und das man freiwillig gewählt hat. „Men Only“ zählt nämlich das Schneiden von Bärten zu seinen angebotenen Leistungen, und das ist ein knappes Gut. Bärte sind zwar grad hip wie die Schneejeans in den 80ern, aber so schnell, wie diese Mode aufkam, hat sich keine Gruppe von Bartspezialisten unter den Friseuren bilden können. So ist der Bartträger angewiesen auf die wenigen Läden, die es gibt – und wird dort zu einem Mann gemacht, über den man sonst nur lachen würde.

Vielleicht liegt der Grund für die Nebenrolle der Friseure aber auch woanders. Denn abgesehen von der relativ klaren Tatsache, dass beim Friseur die Haare zur Bearbeitung anstehen, bleibt unklar, wo man sich eigentlich befindet. Mit Erving Goffman gesprochen, sind Friseure eine ziemlich diffuse Mischung aus Vorder- und Hinterbühne. Für ihren Charakter als Hinterbühne spricht der Umstand, dass dort die Vorbereitungen für Auftritte an anderen Orten stattfinden. Haare (und Bärte) werden in Form gebracht, um in der Welt wieder angemessen auszusehen; der Friseur ist zudem ein geschützter Bereich, der normalerweise nicht einsehbar ist von Kollegen, Kommilitonen oder anderen.

Zugleich ist der Friseur aber eine Vorderbühne; manche stylen sich ja ernsthaft, bevor sie zum Haare schneiden gehen. Man ist dort Kunde in der Beziehung zum Friseur, man hat sich dort zu benehmen und sich eben auch nach Vorstellungen des Friseurs zu richten. Es gelten mehr oder minder klare Regeln, und so kann man eben auch nicht verlangen, den bescheuerten Frauenfoto-Bildschirm abzuhängen oder wenigstens auszuschalten. Das alles kann ganz schön anstrengend sein: Einerseits will man die Haare auf eine spezielle Weise geschnitten haben, andererseits sich aber mit diesem Wunsch nicht blamieren. Man begibt sich ins Verborgene und landet doch wieder an einem Ort, an dem man sich Gedanken um sein Auftreten macht.

Und so gibt man sich dann seinem Schicksal hin und hofft, dass alles gut ausgehen möge und man dann wieder raus kann, ohne sich selbst allzu fremd zu sein. Reden will man danach über die Sache nicht mehr. Auch wenn man schwerlich auf sie verzichten kann, bleiben die Friseure unerwähnt, wenn es um die Erlebnisse der letzten Woche ging oder um Orte, an die sich zu gehen lohnt; Distinktionsgewinne werden in der Regel woanders eingefahren.

Kopfsache

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©Thomas Schmidt-Lux

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